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Geschichte des öffentlichen Gesundheitsdienstes und der Desinfektoren
von G. Friedemann Schubert Mai 2021
Römische und griechische Sklaven wurden dazu ausgebildet, Ratten und Mäuse mit Fallen zu fangen und zu erschlagen. Sie waren die ersten ausgebildeten „Kammerjäger“, auch wenn sie damals noch nicht so bezeichnet wurden. Im Mittelalter wurde dann damit begonnen, Ratten und Mäuse aus gesundheitlichen Gründen zu bekämpfen.
Anfang des 16. Jahrhunderts begannen die Landesherren, besoldete Ärzte anzustellen, die von einem Kammerjäger als Hilfskraft unterstützt wurden.
Eine Berufung von Stadtärzten ist bis in das 13. Jahrhundert nachweisbar. Ende des 16. Jahrhunderts gaben hingegen Medizinalordnungen deren Aufgaben wieder. Die Stadtärzte waren hauptsächlich für die öffentliche Gesundheitsvorsorge und die Seuchenbekämpfung zuständig. Sie mussten jedoch auch Arme behandeln, um letztendlich gesunde Soldaten und Steuerzahler zu erhalten.
Der Beginn der industriellen Revolution, der Durchbruch der Industrialisierung in Deutschland, wird von Hubert Kiesewetter auf 1815 und von Friedrich-Wilhelm Henning auf 1835 datiert. In ihrer Folge mussten sich die Bewohner von Großstädten mit dreimal pro Woche für 8 Stunden gemieteten Betten begnügen, statt eine eigene Wohnung zu besitzen. Zusammen mit schwerer Arbeit, schlechter Luft sowie nur selten gewaschener Wäsche, zehrte all das an der Gesundheit der Menschen. Auch die Gesundheit der Kinder war durch die allgegenwärtige Kinderarbeit stark gefährdet.
Seit der Neuordnung der Physikatsprüfung im Jahr 1825 gehörte zur Ausbildung von Kreisphysikern eine schriftliche Arbeit über ein Problem der Staatsarzneikunde sowie entweder eine Leichenobduktion oder eine praktische Apothekenvisitation. Kreisphysiker waren, damals wie heutzutage, den Landräten unterstellt. Das Salär der grundsätzlich nebenberuflich tätigen Kreisphysiker war gering, weshalb sie ihren Lebensunterhalt in ihrer Privatpraxis erarbeiteten.
Der Grund für eine umfassende Reform war die Choleraepidemie von 1892. In Preußen wurde 1899 das Kreisarztgesetz erlassen.
Die Gerichtsärzte wurden zur strengsten Einhaltung des Kreisarztgesetze[N10] s angewiesen. Die Landgerichtsärzte hatten „alle Geschäfte bei gerichtlichen und Kriminalvorfällen, Besichtigungen, Reisen in Epidemien und Endemien und viele Krankheiten, und überhaupt die ganze Ausübung der Medizinalforensis unentgeltlich zu verrichten und auch die Armen des Gerichtsbezirks unentgeltlich zu versorgen.“
Die damaligen „Sektions- und Präparationsassistent[en]“ hatten alle die Ausbildung zum Desinfektor zu durchlaufen. Bis zur Jahrhundertwende war eine genauere Berufsbezeichnung, wie „Kammerjäger“, nicht geläufig.
Am 1.7.1862 wurden, im Zuge der Trennung von Justiz und Verwaltung, die von einem Bezirksamtmann geführten Bezirksämter geschaffen. Zur Abgrenzung von den auf die Rechtsprechung beschränkten neuen Landgerichten erhielten die bisherigen Doppelbehörden den Zusatz „älterer Ordnung“. Dr. Wilhelm Goes, der Urgroßvater des Autors, war von 1885-1907 der Bezirksarzt in Kaufbeuren.
Die erste Choleraepidemie in Europa forderte zwischen September 1831 und Februar 1832 allein in Berlin 1.426 Todesopfer. In der Rheinprovinz kamen zwischen September und November 1832 bereits mehr als 700 Menschen ums Leben und nun drohte eine zweite Epidemie aus dem Osten. Heutzutage würde die in Europa grassierende Seuche wohl, fachlich richtig, als Pandemie bezeichnet werden.
Im Jahr 1854 erkrankte der Chemiker Max von Pettenkofer an der Cholera, seine Tochter Anna starb sogar fast daran. Er beschloss daraufhin, die Durchfallerkrankung aktiv zu bekämpfen und München von Grund auf zu säubern. Das war nötig, denn Schlachtabfälle verrotteten auf öffentlichen Plätzen und die in stinkenden Sitzgruben hinter den Häusern aufgefangenen Fäkalien verschmutzten das Brunnenwasser. Sauberes Trinkwasser gab es nicht. Die Menschen lebten damals, bei schlechter Luft, auf engstem Raum. Der Chemiker setzte sich dafür ein, dass München eine Kanalisation erhielt, die an alle Haushalte der Stadt angeschlossen wurde.
Im Jahr 1883 entdeckte der Mediziner Robert Koch schließlich das Bakterium Vibrio cholerae. Das Bakterium war optisch kommaförmig gekrümmt, weshalb bei seiner Entdeckung mitunter auch die Bezeichnung Vibrio comma verwendet wurde. Diese Zellen sind fakultativ anaerob, was ihnen ein Leben mit und ohne Sauerstoff ermöglicht. Sie sind die Auslöser der Durchfallerkrankung Cholera.
In Hamburg erkrankten im Jahre 1892 über 16.000 Menschen an der Cholera-Epidemie. Mehr als 8.000 Menschen starben daran innerhalb von nur zehn Wochen. Desinfektoren bekämpften die bakteriellen Cholera-Erreger damals mit Chlorkalk.
Die Menschheit wurde schon immer von Parasiten begleitet. Diese fraßen und infizierten nicht nur Lebensmittel, sondern befielen die Menschen, häufig als krankheitsübertragendes Körperungeziefer, noch mindestens solange Strohsäcke statt Matratzen üblich waren. In Europa also bis nach dem Zweiten Weltkrieg. Der jährliche Hausputz war deshalb, allein aus hygienischer Sicht, durchaus sinnvoll.
Bei besonders starkem Befall wurde der Kammerjäger gerufen oder, wie er jetzt auch schon seit ca. 100 Jahren heißt, der Desinfektor.
Eine Fachausbildung, mit dem Schwerpunkt der Infektiologie, ist wiederum seit ca. 70 Jahren die Voraussetzung für die Ausbildung zum Gesundheitsaufseher, der rechten Hand der Amtsärzte.
Gesundheitsaufseher wurden seit den 1980er-Jahren – wegen der Besoldung - in Hygieneinspektoren umbenannt.
In der II. DVO, dem Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens vom 3.7.1934 (RGBl. I, S. 531), wurde für Desinfektoren eine Ausbildung sowie jeweils eine Fortbildung im Abstand von drei Jahren festgelegt. An diesem antiquierten Fortbildungsrhythmus orientieren sich noch heute einige Bundesländer. Üblich und empfohlen ist eine jährliche Fortbildung.
Zur selben Zeit wurde der Desinfektor in das Berufsbild des Gebäudereinigers integriert.
Am 18.7.1961 trat das Bundes-Seuchengesetz, zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen, in Kraft. Es basierte auf dem früheren Reichsseuchengesetz aus dem Jahr 1900.
Ende der 1960er bis Anfang der 1970er Jahre mussten Desinfektoren-Anwärter am Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg eine Aufnahmeprüfung bestehen. Ungefähr 2/3 bestanden diese Prüfung nicht.
Laut aktueller Prüfungsverordnung besteht die Abschlussprüfung gegenwärtig aus drei Prüfungen. Einer schriftlichen, einer mündlichen und einer praktischen. Der Abschluss erfolgt unter staatlicher Aufsicht durch einen Amtsarzt. Schließlich ist der Desinfektor, bei verantwortungsbewussten Amtsärzten, deren fachkompetenter Experte für Desinfektionsmaßnahmen.
Damit sich der Amtsarzt und andere Auftraggeber auf das Fachwissen des Desinfektors verlassen können, ist eine jährliche Fortbildung vorgeschrieben. Diese wird, wegen regelmäßig neu entwickelter Desinfektionsverfahren und rechtlicher Vorschriften, dringend empfohlen.
Anfang der 1990 Jahre beauftragte der Präsident des Landesgesundheitsamtes Baden-Württemberg Herrn Friedemann Schubert, den dortigen Dozenten für Desinfektion, ein Ausbildungscurriculum für die Desinfektoren zu erstellen. Dieses wurde sofort von Bayern übernommen und diente fast allen Ausbildungseinrichtungen, zusammen mit dem „Leitfaden für Desinfektoren“ als Ausbildungsgrundlage. Zusätzlich berief Walter Bodenschatz kurz darauf eine Kommission zur Harmonisierung der Desinfektorenausbildung.
Verantwortungsvolle Amtsärzte verfügen neben ihren Hygieneinspektoren über eine Gruppe von Desinfektoren. Oft haben diese sich auf einen Bereich spezialisiert, z. B. auf die Desinfektion von wasser- oder luftführenden Anlagen, Krankentransport- und Luftfahrzeugen oder die Raum-, Flächen-, Instrumenten- und Prothesendesinfektion.
Wie in vielen Bereichen werden heute jedoch auch oft ungelernte Personen für Desinfektionen eingesetzt, was kaum überprüft wird. Das war ein Grund, weshalb die Corona-Pandemie der Jahre 2020/21 diesbezüglich fast völlig außer Kontrolle geriet.
Um dem vorzubeugen, sollten Auftraggeber darauf achten, nur gemäß EN ISO 17024 aus- und jährlich fortgebildete Desinfektoren tätig werden zu lassen. Es genügt, sich eine Kopie des Ausbildungsnachweises und die letzte Fortbildungsbescheinigung vorlegen zu lassen, um Experten für Desinfektionsarbeiten von schwarzen Schafen zu trennen. Diese Verantwortung liegt jedoch beim Auftraggeber.
Fachverbände für Desinfektoren
Herr Friedemann Schubert traf Anfang der 1980er Jahre Herrn Kustos aus Hannover. Dieser war im Begriff, in allen Bundesländern Fachverbände für Desinfektoren ins Leben zu rufen. Grund dafür war seine Zeitung Der Desinfektor. Herr Schubert gründete unter anderem zusammen mit Herrn Ulrich Fürst und Herrn Harald Grund den Fachverband für Desinfektoren Landesverband Bayern e.V.. Einige dieser Fachverbände bestehen noch heute.
Auf Grund der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 empfahl Professor Dr. Walter Steuer, der ehemalige Präsident des Landesgesundheitsamtes Baden-Württemberg, Herrn Schubert, einen Europäischen Berufsverband für Desinfektoren zu gründen. Letzterer empfahl den Mitgliedern den Bayerischen in einen Europäischen Fachverband für Desinfektoren umzubenennen.
Heute und in der Zukunft
Der Anspruch an den Desinfektor und der Ausbildungsumfang haben dazu geführt, dass der Abschluss aktuell nach Deutschem Qualifikationsrahmen (DQR) mit dem Niveau 6, dem Bachelor, gleichgestellt ist.
Das gilt jedenfalls für Desinfektoren, die Ihren Abschluss nach 2014 unter staatlichem Besitz absolviert haben. Eine entsprechende Anerkennung kann, wegen der kurzen Ausbildungszeit, jedoch kaum erfolgen.
Deshalb ist unter Federführung von Herrn Friedemann Schubert ein neues Curriculum zur Desinfektorenausbildung entstanden, um die notwendige Ausbildungsqualität sicherzustellen. Neben der unverzichtbaren Wissensvermittlung werden darin die zurzeit gültigen Vorgaben der Bundesländer umgesetzt.
Inzwischen etabliert sich das Curriculum als Standard aller Ausbildungsstätten für Desinfektoren. Der EFfd e.V. bereitet derzeit eine Zertifizierung für Ausbildungseinrichtungen vor, die gemäß Curriculum ausbilden.
Wie gezeigt werden konnte, ist eine unabhängige Unterstützung und Kontrolle durch den Europäischen Fachverband durchaus sinnvoll.
Schließlich gilt es, das Gesundheitssystem in Deutschland und Europa durch die Expertise der Desinfektoren zu unterstützen, um Seuchen rechtzeitig eindämmen oder verhindern zu können.
Friedemann Schubert